Von Vera Helbig (Jahrgangsstufe 11)

teaser2_vera_frankreich.jpgAutorin. Foto: privat

Ça va?» «Oui, ça va. Et toi ?» «Oui.» Nika und ich sprechen französisch, obwohl wir beide deutsche Austauschschülerinnen sind. Mit dem gleichen Austauschprogramm sind neben mir noch 19 andere Deutsche an mein Lycée gekommen. Natürlich ist das einerseits ganz schön, nicht allein und verlassen in einem ganz anderen Land zu sein, aber die gleiche Nationalität schweißt zusammen. Andererseits – wir verstanden uns und von Anfang an super, da hatten wir natürlich nicht den allergrößten Antrieb, auf die anderssprachigen, unbekannten Franzosen zuzugehen.

Die engsten Freundschaften entwickelten sich also im Verband der Landsleute. Meine auch; meine besten Freundinnen in Frankreich sind außer Céline nur Deutsche. Da eine von ihnen, Lena, in der Nachbarschaft wohnt, war es klar, dass wir uns auch ganz oft besuchen und so ist sie für mich zu einem sehr wichtigen Bestandteil meines Aufenthalts geworden (wir haben natürlich nicht französisch gesprochen, wie es uns eigentlich ans Herz gelegt wurde).

teaser_lille.jpgLille grande place. Foto: privat

Zusammen haben wir einen Hip-Hop-Choreotanzkurs besucht (jaja, gibt’s auch auf französisch), die Umgebung und besonders die nahe gelegene Stadt Lille erkundet. Lille ist nicht nur eine wirtschaftlich bedeutende Stadt in einer industriestarken Gegend, sondern eignet sich auch ganz wunderbar zum Shoppen (was man in Frankreich genauso gut machen kann wie in Deutschland), Schlendern, Kaffeetrinken. Ausgestattet mit einer Vielzahl französischer, sowie schwedischer (H&M) und sogar deutscher Boutiquen und Läden sind die Fahrten per Bus dorthin zu einer wunderbaren Wochenendbeschäftigung geworden. Hinzukommen die vielen Crêpes-Stände, die uns immer wieder nach Lille gezogen haben.

Aber unser Essen war nicht immer französisch; wir haben auch mal ganz deutsch gekocht: in Ermangelung anderer genialer Ideen typisch deutscher Gerichte haben wir uns schlussendlich für Schweinshaxen entschieden. Aber stehen die auch im französischen Wörterbuch? Natürlich nicht! Erst seit einigen Wochen im anderen Land und so noch nicht ausreichend bewandert in der französischen Sprache, erklärten wir dann, unterstützt von Lenas Gastvater (der selbst kein Deutsch sprach und wie ich im Verdacht habe, auch nicht so genau verstanden hat, welchen Teil eines Schweinebeins wir denn genau haben wollten), dem verdatterten Metzger mit Händen und Füßen, was wir gerne kaufen wollten. Schließlich nahmen wir dann irgendwann freudestrahlend zwei Teile von den Beinen eines Schweins entgegen – ob es die richtigen waren, wissen wir bis heute nicht.

Heute schon das zweite Mal flachgelegt
und das ganze Haus voller Bratpfannen

teaser_vera_lille.jpgAutorin beim Schlemmen.
Foto: privat

Die Sprache hat uns aber auch später noch den ein oder anderen Streich gespielt. Während eine Freundin von mir „sauver“ (=retten) mit „sauter“ verwechselte und dann ihrem französischen Freund vor versammelten Freundeskreis glücklich erzählte, er habe sie an diesem Tag schon das zweite Mal flachgelegt, behauptete ich steif und fest, das ganze Haus sei voller Bratpfannen (wobei ich einfach den Artikel vertauscht hatte und eigentlich Hundehaare meinte).

Bis auf solche mehr oder minder lustigen Pannen verbesserten wir uns Dank langer Hausarbeiten und vielen Französischstunden pro Woche (wir waren ja in einer L-Klasse) doch enorm. Und das trotz verminderter Konversation auf Französisch. Auch in Spanisch hab ich sehr viel dazu gelernt, da an den französischen Schulen auch diese Sprache unterrichtet wird. Leider sind beide Fortschritte der Vergänglichkeit verdammt, denn wie jeder andere Austauschschüler werde auch ich nach Rückkehr nach Deutschland viel von meinen sprachlichen Errungenschaften wieder verlieren…

Anfangs war es relativ schwer, den Stunden zu folgen; neues Vokabular, schnell gesprochene Sätze und vor allem das alte Französisch der Literatur haben kräftigst Konzentrationsanstrengungen erfordert. Im ersten Monat – den anderen Deutschen ging es ähnlich – war ich daher nach der Schule sprichwörtlich gerädert! Aber schon bald verstand man mehr und konnte im Unterricht auch mitarbeiten, fast wie die Franzosen. Neben zwei genialen Feiern bei Daria (ebenfalls deutsch), wo viel getanzt und getrunken wurde, traf ich mich, sowohl mit Deutschen als auch Franzosen, zum (typisch deutschen) Weihnachtsplätzchenbacken, zum Kino-Gehen, wo man schon nach kurzer Zeit erstaunlich gut durchgestiegen ist, und vor allem in der Schule, in der man ja den größten Teil seiner Zeit verbrachte.

Möchte am liebsten noch dableiben

Aber auch innerhalb der Gastfamilien gab es diverse Unternehmungen; zum Beispiel Ausflüge, Picknicks oder Sommer- und Skiurlaube, manche waren über Silvester sogar in Paris! Auch ich habe Paris einen Besuch abgestattet und muss sagen, dass das Parisklischee keineswegs übertrieben ist. Es ist (subjektiv gesehen, natürlich) dort genauso schön wie es heißt. Mein Ausflug in „die schönste Stadt der Welt“ fand an einem „goldenen Herbsttag“, wie er im Buche steht, statt. Wir sind sogar in einem, aus unseren Französischbüchern uns wohlbekannten, „Bateau mouche“ (=Sightseeingschiff) die Seine entlanggefahren. Unter vergoldeten, aus Stein gemeißelten oder aus Eisen geschmiedeten Brücken durch, an sonnenüberströmten Uferpromenaden und golden belaubten Herbstbäumen vorbei. Und wir waren am Eiffelturm, wo ich es dann leider nicht mehr geschafft hab, den obligatorischen Crêpe zu essen…

xl_frankreich_weihnachten.jpgAutorin und Freundin Lena – zwei deutsche Austauschschülerinnen verkleidet als Weihnachtsmänner. Bild: privat

Aber dafür hab ich einen enormen Stapel Postkarten gekauft, die ich dann in alle Welt, aber besonders – wer hätte es gedacht – nach Deutschland verschickt habe. Als Austauschschüler im Ausland nimmt die Post einen ziemlich beträchtlichen Platz ein; man schreibt sehr viel mehr als sonst und verblüfft die Postbeamten immer wieder aufs Neue, indem man dann mal eben siebzig Briefmarken auf einmal kauft. Dafür bekommt man aber, besonders zu Weihnachten, viel zurück, auch in Form von Päckchen in reichlicher Menge.

xl_schulhof_frankreich.jpgPause auf Französisch. Foto: privat

Mit meinem Austauschschüler habe ich, im Gegensatz zu Deutschland, nicht allzu viel in Frankreich gemacht. Kein Austauschschülerpärchen war in derselben Klasse und so sahen wir uns den Großteil des Tages schon mal nicht. In Ermangelung gleicher oder wenigstens ähnlicher hier praktikabler Interessen haben wir auch in der Zeit, die nicht von den Hausaufgaben in Beschlag genommen wurden, kaum etwas zusammen unternommen. Eigentlich besteht so ein Austausch aus zwei Welten; einmal die Schule und auf der andren Seite die Familie, wo es mitunter ganz anders sein kann. Während ich in der Schule die meisten Franzosen eher offen, locker und sehr tolerant erfahren habe, fehlten mir diese Werte manchmal in meiner Gastfamilie. Natürlich haben auch sie sich immer bemüht und mit besten Absichten gehandelt, aber der Fakt, dass sich selbige doch zum Teil erheblich von den meinigen unterschieden, hat das Zusammenleben nicht immer leicht gestaltet.

frankreich_home.jpgAutorin – wie es sich gehört –
mit Beret.
Foto: privat

Auch die strengere Erziehung, mehr Regeln als bei mir zu Hause, waren eine Umstellung für mich. Bei allen Differenzen und Verschiedenheiten haben wir aber auch einige sehr schöne Momente zusammen gehabt. Andere der Austauschschüler, die ich kenne, hatten weniger Glück mit ihren Gastfamilien, wieder andere haben mit den ihrigen voll ins Schwarze getroffen. Das ist eben so ein bisschen ein Lotterie-Aspekt bei der ganzen Austauschunternehmung.

Als Bilanz kann ich sagen, dass mir der Auslandsaufenthalt doch schon Einiges gebracht hat, nicht nur im sprachlichen und menschlichen Bereich, sondern auch neue Freunde, die ich jetzt nur ungern verlasse. Nun sind es nur noch wenige Tage, bis ich wieder nach Hause fahre. Beim Darübernachdenken möchte ich am liebsten noch dableiben. Auch die wöchentlichen Schlammschlachten mit Uldrax werde ich sicherlich vermissen. Aber vielleicht komm ich ja noch mal in dieses Schlemmer-Land zurück? Meine deutschen Freunde, die aus Frankreich ebenfalls zurückkehren, besuche ich auf jeden Fall!

(Gestaltung: Andreas Bubrowski)